Verkehrsumtobtes Idyll

Verkehrsumtobt – das ist so ein Wort. Hört sich nach Literatur an und in jedem Fall so ein Ticken übertrieben, oder?! Bezogen auf unseren Nettelbeckplatz hat man es allerdings auch schon das eine oder andere Mal gehört…

… angedenk der Tatsache, dass die stark befahrene Reinickendorfer Straße, die S-Bahn und die Fernbahn ihre Dezibels über den Platz jagen. Was liegt da näher, als diesen Platz einmal umzudefinieren in das so ungefähr Gemütlichste, Stimmungsvollste, Harmonischste, was man sich vorstellen kann: einen Weihnachtsmarkt. Dem Quartiersmanagement Pankstraße ist es ein großes Anliegen, diesen Platz lebenswerter zu gestalten und die Kiezbewohner dazu zu ermuntern, ihn für ihre Freizeitaktivitäten zu erobern. Deshalb stellt es über die beiden QM-finanzierten Projekte “Unterstützung der Kiezgewerbe” und “unverblümt” auch die Finanzierung dieses Weihnachtsmarktes sicher, der sich im besten Fall langfristig hier etablieren soll.

Rückblende 2018. Die Macher des 1. Weihnachtsmarktes, Stattwerke Consult GmbH (Projekt: Unterstützung der Kiezgewerbe) und georg+georg (Projekt: unverblümt Kulturexpeditionen), räumen Stände, Soundanlage, Feuerschale ab und ziehen dabei Resümee. War sehr gut, aber der Platz zu offen, zu weitläufig, zu groß. Da braucht es 1000 Leute, um Gemütlichkeit zu erzeugen, so das Fazit. Und: Wir brauchen noch mehr Licht auf dem Platz! Lehren für das Folgejahr.

Und weil auf 18 die 19 folgt, sehen wir am 6. Dezember wieder einen Weihnachtsmarkt auf dem Nettelbeckplatz. Siehe da, er ist kleiner, enger, gemütlicher als im Vorjahr und damit natürlich auch viel leichter zu illuminieren. Aber was ist das? Strömender Regen oder naja, permanenter Niesel den ganzen Nachmittag? Perfekte Wetterbedingungen sehen anders aus, aber fangen wir doch mal am Anfang an.

Unverdrossen trotz schlechter Prognosen treffen sich Helmut Geißler von Stattwerke Consult, Bühnenbauer und Troubadour Frank Rother aka Desmond Garcia, Ton- und Lichtmeister Günter Kaiser, Lea von den Kollegen 2,3, die den unverblümt-Rahmen aufstellt und Georg von georg+georg zur Lagebesprechung um die Mittagszeit. OK, wir bauen auf, ist das Ergebnis – auch wenn man sich den Niederschlag viel lieber als Schnee wünscht und den stürmischen Wind als Sternenstaub. Aber noch ist’s trocken und damit Gelegenheit, mit Pavillons, Zelten und Planen Regenschutz zu organisieren. Schade ist es um Franks komplette Bühnenlandschaft aus Pappmaschee, aber sie über Stunden dem Regen auszusetzen würde Pappbrei auf dem historischen Pflaster zur Folge haben. So werden einzelne Elemente wie Tannenbäume, Sterne und Getier in den Marktständen aufgehangen, wo sie der Regen nicht erreichen kann.

Pünktlich um 15 Uhr soll es losgehen – und das gleich doppelt. Denn während der Barde Tobias Ebert sein musikalisches Gitarrenvorspiel aufnimmt, um gleich mit Gesang einzusetzen, setzt auch Regen ein. Nicht schlimm, aber merklich und stetig. So bleibt es im Prinzip bis zum Schluss, mit wenigen Regenpausen in Minutenlänge. Irgendwie funktioniert der Weihnachtsmarkt trotzdem. Das liegt bestimmt auch an den kreativen Ständen, an denen zumeist Weddinger*innen ihre Waren präsentieren – kostenfrei organisiert durch das Kiezgewerbe-Projekt. Was gibt es alles so? Weddingbücher, Keramik und scharfe Messer, Spreegarn mit lustigen Woll-Ideen, selbst eingekochte Marmeladen und Saucen, Musikinstrumente zum selber Bauen, ein Kindergarten hat selbst gebackene herzhafte und süße Leckereien mitgebracht, dazu Kaffee und natürlich, das muss sein, weihnachtliche Getränke, die Groß und Klein dabei helfen, Kälte und Nässe zu trotzen. Wer Lust hat, kann sich als Nikolaus fotografieren lassen, Stockbrot an der von Helmut Geißler betreuten Feuerschale backen und essen, mit den “Gänsefüßchen” Weihnachtssterne basteln oder sich vom abwechslungsreichen Kulturprogramm ablenken lassen. Und wem das alles noch nicht reichte, dem drückte ein echter Nikolaus (Moment mal, kenn’ ich den nicht?) ein Abbild seiner selbst aus Schokolade in die Hand. Lecker!

Trotz des – man kann es als Beteiligter nicht oft genug betonen – Sauwetters ist der kleine Markt ständig gut gefüllt. Viele Menschen bleiben auch ein wenig länger, um den nächsten Act mitzunehmen. Und das lohnt sich durchaus. Nach Tobias Ebert kommt Desmond Garcia One Man Band mit seinem Riesen-Papp-Stetson auf die Bühne und bringt Country and Folk vom Feinsten dar. Was noch? Die Feuershow begeistert Kind und Frau und Mann, auch wenn Johnny, der Feuermeister, heute ohne Luise angerückt ist. Stattdessen muss Trude einspringen und absolviert die tollsten Kunststücke mit zitternden Knien. Oder ist das schon die Show?! Beifall und Zugabe für Trude, danach geht es weiter mit Seasoul, einer heute fiebernden Singer-Songwriterin am E-Piano. Sie präsentiert einem aufmerksamen Publikum ihre tollen Songs, man hätte noch länger zuhören können, aber die Veranstaltung rast ihrem Ende entgegen. Und ein Chor ist ja auch noch dran, genauer gesagt Da’Chor, der Chor der Berliner Stadtmusikanten am Holzmarkt. Englische und skandinavische Weihnachtslieder preisen Santa Claus ebenso wie Sankta Lucia und da nun auch die elektrische Verstärkung ausgestellt ist (Genehmigung nur bis 19:00 Uhr), singen die Sänger halt ein bisschen lauter und werden dadurch warm und können deshalb länger singen. Schön.

Witzig: Jetzt, wo der Markt nun wirklich vorbei ist, hört auch der Regen auf. Gut, auch ein Abbau im Trockenen hat seine Vorteile und wir nehmen’s, wie’s kommt. Und nochmal nachgedacht: Doch, es war eine runde Sache. Co-Veranstalter Helmut Geißler grinst zufrieden, als wir ihm den letzten Generator aufs Auto hieven. “Hat doch geklappt. Die Leute hatten Spaß, und der Platz war gut belebt. Danke an alle.” Geht es nächstes Jahr in die Verlängerung? Mal sehen. Aber Aufruf an alle: Schreibt noch schnell besseres Wetter für den Weihnachtsmarkt 2020 auf die Wunschliste für Weihnachten. Zumindest das hat noch Steigerungspotential.