Swingin’ Nettelbeckplatz

Unverblümter Weihnachtsmarkt auf dem Nettelbeckplatz – gemeinsam mit dem Kiezgewerbe-Projekt am 13. Dezember 2018

 unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Bürgerredakteure von Panker65 schmückten ihren Weihnachtsbaumunverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Die Mirkaledo-Workshop-Bandunverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Sandra Brandstätter stellt ihre Graphic-Novel “Paula” vorunverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Feuerspucker Tobias Rauchunverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Krokodil Kommaklaus bei der Arbeitunverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Maruan Paschen liest aus seinem Buch “Weihnachten”unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Die Kulturtanzschule unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1unverbluemt 25 weihnachtsmarkt nettelbeckplatz 1Schlagersänger John P. Wilke rockt den Magendoktor

Der Nettelbeckplatz ist spröde und widerspenstig. Wer je versucht hat, den Platz zum Schwingen zu bringen, weiß, wovon die Rede ist. Plätze scheinen ein Gedächtnis zu haben. Der Nettelbeckplatz etwa fühlt sich offenbar immer noch als Verkehrsknotenpunkt mit großem Kreisverkehr, der er bis in die 1980er war. Trotz der großzügigen Sitzgelegenheiten, dem charismatischen Brunnen, der das Flanieren unterstützenden Aufpflasterung und der großen, Schatten spendenden Platanen kommt der Platz nicht über seine Mankos direkte Nachbarschaft zur unruhigen Reinickendorfer Straße und fehlende Rückzugsräume hinweg. Stellt sich der Nettelbeckplatz schon im Sommer als schwer einzunehmen dar, so ist es im Winter ungleich schwieriger. Zugig wirkt der Platz, die Menschen hetzen von der S-Bahn nach Hause oder zur S-Bahn, selbst der Wochenmarkt kommt in diesen Tagen nahezu zum Erliegen. 

Aber es gibt Menschen, die wollen dies so nicht stehen lassen. Zu ihnen zählt Helmut Geißler, der für das Quartiersmangagement (QM) Pankstraße das Projekt “Unterstützung der Kiezgewerbe” leitet. Er sieht das Potential des Platzes und will neues Leben hierher bringen. Ein erster Versuch dabei war der Weihnachtsmarkt, den er gemeinsam mit dem Projekt “unverblümt” am 13. Dezember veranstaltet hat.

So kam es, dass am Morgen desselben Tages Stände aufgebaut, eine 9 Meter lange Eisstockbahn errichtet, eine Bühne installiert und mehrere Weihnachtsbäume aufgestellt wurden. Standbeleuchtungen wurden aufgehängt, eine Feuerschale positioniert, ein Soundcheck erfolgreich absolviert. Es konnte losgehen!

Rückblende: Bastelstunde bei der Bürgerredaktion – das war zwei Tage zuvor angesagt. Um den Stand schöner zu gestalten, sollte ein selbst geschmückter Baum her. Und so trafen sich am Abend des 11. Dezember acht Redakteurinnen und Redakteure, um Salzteig auszustechen, Sterne zu schnippeln, Engel zu kleben und dabei mit Punsch und Plätzchen viel Spaß zu haben. Ergebnis war ein festlich geschmückter Baum, der dem Weihnachtsmarkt zur Zierde gereichte. Daneben stellte Helmut Geißler vier weitere Bäume – gesponsert vom Weihnachtsbaumverkauf auf dem Leopoldplatz.

Leider erwies sich die Belegung der Stände als unsicher. Während sich anfangs noch 12, später 8 und am Vortag des Marktes immer noch 6 Gewerbetreibende einen Stand dort zutrauten, kamen tatsächlich nur zwei. Und dies obwohl (oder weil?) sie die Stände kostenlos haben konnten. So bezogen nun die Töpferin und Seifenmacherin Antje Meier aus der Prinz-Eugen-Straße 6, die normalerweise ihre Produkte vor allem online vertreibt, und das Cafè Rosa Parks aus der Soldiner Straße jeweils einen Stand. Hinzu kam die Bürgerredaktion, die auf dem Weihnachtsmarkt ihre druckfrische Dezember-Ausgabe präsentierte, und ein Stand der Baufachfrauen, die in gewohnt erfrischend-lebendiger Weise zur sportlichen Animation des Laufpublikums beitrugen. 

Was soll man sagen? Die Vorzeichen waren nicht 100%ig günstig – aber es wurde trotzdem ein guter Tag. Während am Stand der Panker65-Bürgerredaktion Gummibärchen-Orakel gelegt wurden und Nachbarn für einen Plausch oder ein Info-Gespräch anhielten, die Baufachfrauen mit Riesen-Seilspringen, Stelzenlauf oder Ringwurf ihre Besucher zum Schwitzen brachten, verkauften die beiden Gewerbestände wirklich viel. Der Glühwein am Rosa-Parks-Stand war schon lange vor Ende des Marktes alle und Antje Meier freute sich über einen Abverkauf vor allem ihrer Keramiken, den sie so selten erlebt. 

Vor allem aber war es ein guter Tag für die Besucher des Marktes – denn sie bekamen viel geboten. Kostenloses Eisstockschießen lockte immer wieder Fans an. Am beliebtesten war die Feuerschale. Dort trafen sich Eltern mit kleinen Kindern, die überm Feuer Stockbrot und Marshmallows rösteten.

Nun haben wir aber noch nicht über unverblümt gesprochen. Denn zur Aufwertung des Events planten die unverblümt-Macher von georg+georg eine Tour, die sich entlang des Nettelbeckplatzes vor allem im Indoor-Bereich abspielte. Start war trotzdem draußen: Im unverblümt-Goldrahmen traten die Kinder aus dem benachbarten Kinderladen auf und gaben ein kleines Weihnachtsständchen. “In der Weihnachtsbäckerei” und “Lasst uns froh und munter sein” sangen ungefähr 20 Kinderkehlen und erfüllten den Platz mit einer vorweihnachtlichen Ahnung.

Dann ging es weiter mit einem A capella-Konzert der Mirkaledo-Workshop-Band im vietnamesischen Restaurant Mr. Hoang und zwei Lesungen im Mirage, unterbrochen von einem Open-Air-Slot auf dem Nettelbeckplatz. Und so stellte Sandra Brandstätter ihre Graphic-Novel “Paula” vor dem Feuerschlucker und -spucker Tobias Rauch vor, während Maruan Paschen danach wiederum aus seinem Roman “Weichnachten” las. Gut 200 Menschen folgten dem Auftritt der Kulturtanzschule, die traditionelle deutsche Tänze, andalusischen Sevillana und einen Fackeltanz lieferten. Wer dann noch nicht durchgefroren war (die Temperaturen bewegten sich im niedrigen einstelligen Bereich) konnte sich auf Kommaklaus freuen. Das melankomische Handpuppenkrokodil Kommaklaus sang vor dem Rondell vom Leben in einer Bananenrepublik, von Blumen und Bienen und von Tinderkindern. Wirklich lustig!

Den krönenden Abschluss bildete John P. Wilke von “Im Zweifelsfall Schlager” im Magendoktor. Der überzeugte Schlagerist spaltet das Stammpublikum der Eckkneipe: Während die einen voller Inbrunst mitsingen, wollen andere in Ruhe Bier trinken und Billard spielen. Ging an dem Tag schlecht, weil der Tisch der improvisierten Schlagerbühne weichen musste. Aber spätestens beim Zugabenhit “Bierschaum” schmettert das gesamte Publikum mit. 

Beseelt und glücklich gehen Publikum und Macher heim ins vorweihnachtliche Zuhause. Ein paar Tage später trifft man Helmut Geißler beim Weihnachtsempfang des Quartiersmanagements. Ist er zufrieden mit dem Event? “Na ja, man muss so einem Format auch erstmal eine Chance geben. Jetzt wissen wir, was gut läuft und was wir noch besser machen können. Ich würde sagen: Nächstes Jahr wieder!”

Also, Nettelbeckplatz, freu’ dich schon mal darauf, im Dezember zu schwingen. Vielleicht dann noch ein bisschen mehr …

Text: Johannes Hayner Fotos: Jonathan Andrae, Johannes Hayner (georg&georg)