Wie läuft der Verkehr im Kiez?
Dialogforum zum Verkehrskonzept im Silent Green
Was läuft schief im Kiez-Verkehr? Und wie könnte es besser laufen? Dies waren die beiden entscheidenden Fragen, die auf dem Dialogforum zum Mobilitätsmanagement im Silent Green am 16. Februar einer Antwort näher gebracht werden sollten. Für den Pankstraßen-Kiez ist im Moment ein Verkehrskonzept in Vorbereitung, das im Sommer 2018 fertig wird.
Mit der Ausarbeitung dieses Verkehrskonzeptes ist im Rahmen eines QM-Projektes ein Konsortium aus LK Argus Berlin und plan & rat Braunschweig beauftragt. Dieses Konsortium war auch Veranstalter des Dialogforums und Projektleiterin Juliane Krause übernahm Veranstaltungsleitung und Moderation.
Wichtige Akteure aus dem Kiez – Vertreterinnen und Vertreter aus Verwaltung, Quartiersrat, von Institutionen und Projekten – waren eingeladen, um über die Probleme und Perspektiven der Verkehrswege im Kiez zu diskutieren. Schnell war man sich darüber einig, dass der Pankstraßenkiez mit seinen großen Straßen (Müller-, Pank-, Schul-, Reinickendorfer Straße) und den wichtigen Verkehrstrassen (U6, U9, S-Bahn Ring, Nord-Süd-Bahn) nicht nur verkehrstechnisch gut angebunden ist, sondern auch mit einem enorm hohen Verkehrsaufkommen zurechtkommen muss. So wurde immer wieder die Tatsache betont, dass gerade die Transitverkehre durch den Kiez eine enorme Belastung darstellen. Vor allem Radfahrer und Fußgänger beklagen sich darüber, dass auf ihre Interessen viel zu wenig Rücksicht genommen wird.
Nach einer kurzen Begrüßung und der Vorstellung des Veranstaltungskonzeptes sowie des Begriffes Mobilitätsmanagement übernahm René Waßmer vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) das Wort. Der VCD unterhält im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit das Projekt “Wohnen leitet Mobilität“, dessen Leiter Herr Waßmer ist. In fünf über das gesamte Bundesgebiet verteilten Regionen wird dabei getestet, wie es gelingen kann, am Wohnort der Menschen bessere Zugänge zu klimaverträglichen Verkehrsmitteln zu schaffen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen die Kommunikation zwischen Kommunen, Wohnungsunternehmen und Mobilitätsdienstleistern verbessern und deren Vernetzung befördern. Im Rahmen des Projektes wurde klar, dass sich mehr als 50% der Menschen eine andere Verteilung des öffentlichen Raumes wünschen – mit starker Präferenz für Fußgänger-, Radfahrer und Begegnungsflächen. “Wohnen leitet Mobilität” befindet sich noch voll in der Arbeitsphase, deshalb konnte Waßmer noch keine Ergebnisse präsentieren. Allerdings war es für alle Anwesenden interessant, welche Ansatzpunkte die Experten finden, um Klimaverträglichkeit, Mobilität und Lebensqualität unter einen Hut zu bekommen.
In der nächsten Phase waren die Teilnehmer selbst gefragt. Juliane Krause verteilte Formblätter, in die eingetragen werden sollte, was die Teilnehmer als Hemmnisse und Potentiale einer nachhaltigen Mobilität im Kiez sehen. Im Anschluss konnten alle Teilnehmer ihre Antworten vorstellen und zur Diskussion stellen. Hier kamen nun die verschiedensten Anregungen und Klagen auf den Tisch, aber eines wurde schnell klar: Zufrieden ist niemand mit der Verkehrssituation im Pankstraßenkiez. Hier ein paar der Potential-Ideen, die einen Eindruck von der Vielfalt des Diskutierten vermitteln:
- öffentliche Verkehrsmittel sollten prinzipiell kostenlos für alle sein
- Bodenwellen auf den Straßen und Verengungen einrichten, um das Tempo der Autos zu drosseln
- ein Wegeleitsystem für den Kiez unter Einbeziehung von Hofdurchgängen beauftragen
- Busbeschleunigung und mehr Busse erwirken
- Information und Aufklärung verstärken
- mehr und sicherere Fahrradparkplätze im öffentlichen Raum anbieten
- mehr und bessere Radwege einrichten
- Wegweiser zur Verbindung vorhandener Angebote aufstellen, zum Beispiel Zugänge zum Pankeweg.
Zu den Gegebenheiten, die den Akteuren im Kiez am meisten unter den Nägeln brennen, gehören zugeparkte und fehlende Querungsmöglichkeiten an den großen Straßen, das unbequeme Kopfsteinpflaster der Nebenstraßen, welches Radfahrer auf die Gehsteige treibt, mangelnde Geschwindigkeitskontrollen und “Luft nach oben” bei der Verkehrsbildung von Kindern und Jugendlichen.
Nach einer kurzen Verschnauf- und Stärkungspause versammelte man sich wieder, um nun eigene Ideen zu entwickeln, wie möglichst schnell und noch besser nicht zu kostenintensiv eine Verbesserung im Kiezverkehr herbeigeführt werden kann. Auch hier kam wieder ein bunter Strauß Ideen auf den Tisch bzw. an die Wand, denn alle Ideen wurden an Stellwänden protokolliert. Der autofreie Kiez, der sich an mehreren Straßenfesttagen seinen Bewohnern und Besuchern vorstellt, eine kostenlose E-Bike-Ausleih-Station am Rathaus, ein Kiez-Bürgerentscheid über die Zahl der Parkplätze, die Einrichtung einer Fahrradschule mit altersübergreifenden Radausflügen, regelmäßige Straßensperrungen für Kinder und die Ausweisung von Fußgängerzonen und Spielstraßen sind nur einige davon.
Das Dialogforum im Silent Green diente nicht dazu, Entscheidungen zu treffen, die direkt in das Verkehrskonzept einfließen. Vielmehr versprachen sich die Veranstalter Anregungen, Ideen, Tendenzen für ihre weiter Arbeit. Und diese haben sie bekommen, sagt Juliane Krause: “Heute ist deutlich geworden, welch großen Anteil der Bereich Kommunikation und Information im Verkehrskontext spielt. Es ist sehr wichtig, dass man mehr Rücksicht nimmt auf zu Fuß Gehende, Radfahrende und Kinder und auch mehr Platz für diese Menschen im öffentlichen Raum schafft. Das fördert im Übrigen auch das Quartiersgefühl.”
Auch die Auftraggeber vom Bezirksamt zeigen sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Projektes. Siegfried Dittrich vom Straßen- und Grünflächenamt Mitte: “Wir wollen nicht wie in klassischen Verkehrskonzepten vor allem auf bauliche Maßnahmen setzen. Deshalb sind wir um so mehr auf den Input der Menschen angewiesen, die hier leben oder arbeiten. Und da kam heute richtig viel zurück. Auffällig ist, dass hier im Vergleich zu anderen Bereichen in Mitte viel weniger Rad gefahren wird. Hier werden so um die 9% der Wege mit dem Rad zurückgelegt, in Alt Mitte 19%, in Alt Tiergarten 17%. Da sehe ich schon ein Potential, an das man ran gehen kann. Sicher hängt es auch mit der Zusammensetzung der Bevölkerung zusammen, gerade in migrantisch geprägten Kulturen ist es nicht üblich, dass Frauen Rad fahren. Deshalb macht hier sicher auch die genannte Fahrradschule für Erwachsene Sinn. Klar gehört da auch die Infrastruktur dazu, aber wir sehen jetzt den Fokus erstmal auf dem Mobilitätsmanagement.”
Das Verkehrskonzept soll so praktisch angelegt sein, dass sich die Ergebnisse zeitnah, schnell und kostengünstig umsetzen lassen, so Frau Krause. Neben der fiskalischen Seite hat dies auch einen terminlichen Aspekt. Denn Baumaßnahmen kosten viel Zeit und die Effekte “weicher” Maßnahmen, das zeigen viele Beispiele, sind oft vergleichbar. Noch einmal Herr Dittrich zu Fragen des Budgets und der Sinnhaftigkeit von Mobilitätsbildung: “Es kommt natürlich auf die Maßnahmen an, manche kosten viel, andere sind relativ preiswert. Bei baulichen Maßnahmen wird es wahrscheinlich schwieriger sein. Deshalb wollen wir über Mobilitätsmanagement Sachen, die vielleicht gar nicht so viel Geld kosten. Zum Beispiel Mobilitätsbildung. Bei den baulichen Sachen ist auch immer die Frage, was es bringt. Zum Beispiel im Norden des Gebiets ist in den 1980er Jahren zum Teil massiv umgebaut worden, es gibt große verkehrsberuhigte Bereiche. Trotzdem gibt es Beschwerden, die Leute führen zu schnell. Es wird falsch geparkt. Da kann man baulich nicht mehr viel machen. Deshalb finde ich den Schwerpunkt auf “weichen” Faktoren richtig.”
Mit dem guten Gefühl, einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung des Kiezes geleistet zu haben, gingen die Teilnehmer auseinander. Mit dabei war auch Talha Altunkaynak, 15 Jahre alt und Schülerpraktikant beim Quartiersmanagement. Er sagt über den Nachmittag: “Ich fand es interessant, wie viele Themen dort angesprochen wurden. In manchen Sachen habe ich auch Freunde und Verwandte wiedererkannt, etwa meine Brüder beim Thema Kult ums Auto. Gut finde ich, dass bei der Entwicklung des Verkehrskonzeptes die junge Perspektive berücksichtigt wird.”
Letzteres wiederum ist für die Entwickler des Verkehrskonzeptes eine Grundvoraussetzung – denn gemacht wird es gerade auch für die kommenden Generationen in unserem Kiez.
Text und Fotos: Johannes Hayner